Entwicklung und Perspektiven einer eigenständigen Jugendpolitik in Thüringen

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Zum Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/1970


Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Besucherinnen und Besucher auf der Zuschauertribüne, werte Kolleginnen und Kollegen und auch Zuhörer am Livestream, die CDU-Fraktion ruft heute ein großes Thema auf die Tagesordnung, die eigenständige Jugendpolitik. Das klingt ja erst mal ganz gut, man könnte fast meinen, alle Parteien hier im Hohen Haus wären sich darin einig, dass die Interessen junger Menschen zu achten und sie auf allen Ebenen und in allen Lebenslagen zu unterstützen sind und auch einzubeziehen sind – und vor allem wichtig dabei, auf Augenhöhe. Aber Herr Tischner, Sie haben es gerade gesagt, eigenständige Jugendpolitik bedeutet zum einen Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe, aber auch als eigenständiges Themenfeld zu betrachten. Dann würde ich zwei Beispiele heranziehen, wo wir das momentan als Fraktion seitens der CDU-Fraktion vermissen, das zum einen auf Bundesebene.


(Beifall DIE LINKE)


Dazu gehört nämlich auch zu betrachten, dass Jugendliche genauso seit 2005 von den Sanktionen der Hartz-IV-Gesetzgebung betroffen sind. Kurzes Beispiel: Die Hartz-IV-Gesetzgebung hält Jugendliche ab dem 15. Geburtstag für erwerbsfähig und kann deswegen Ausbildungsplätze oder auch Maßnahmen vielfach einfach anweisen. Die Sanktionsmöglichkeiten sind teils strenger als bei den Erwachsenen. Vergessen Jugendliche einen Termin, können ihnen die Bezüge schon beim ersten Mal um 10 Prozent gekürzt werden. Brechen sie eine Ausbildung oder Maßnahme ab, kann das Jobcenter ihnen schon beim ersten Mal die komplette Regelleistung streichen. Laut Bundesagentur bestraften die Jobcenter vergangenes Jahr 16.109 Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren, also Minderjährige, für das Fehlverhalten mit Kürzung oder Streichung der Existenzsicherung. Junge Erwachsene zwischen 18 und 19 Jahren waren noch häufiger betroffen. Das wäre das erste Beispiel, wo ich frage, wo hier der Einsatz für die Jugendlichen in der Bundesrepublik ist.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zweite Negativbeispiel – da müssen wir auf das letzte Jahr zurückschauen, wenn es nämlich darum geht, wie Jugendliche hier im Freistaat behandelt werden auch mit Blick auf das Verhalten der CDU-Fraktion, wenn wir über die Frage „Wahlalter ab 16“ sprechen. Denn auch da war die Debatte seitens Ihrer Fraktion wenig progressiv besetzt. Wer im letzten Jahr einen zentralen Bestandteil der eigenständigen Jugendpolitik, nämlich auch eine frühere politische Partizipation in dem Fall durch Wahlen auf Landesebene blockiert und jetzt nach mehr eigenständiger Jugendpolitik schreit, der verfolgt in unseren Augen mit diesem Antrag erst mal nur Schaufensterpolitik.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es überrascht nicht, dass die CDU aber nun plötzlich das Thema für sich entdeckt, aber auch das scheint, wie in vielen anderen Belangen, die neu entdeckte Oppositionsrolle zu sein. Aber diese Debatte – es ist zunächst erst noch mal wichtig zu klären, worüber wir hier eigentlich reden, wenn wir von der eigenständigen Jugendpolitik sprechen. Wir haben es vorhin schon angedeutet, Herr Tischner, die eigenständige Jugendpolitik ist ein Politikansatz, der die Bedürfnisse und Anforderungen von Jugendlichen in den Fokus stellt, und zwar die Jugendphase als Ganzes in den Blick nehmen will. Die bisherige isolierte Betrachtung von einzelnen Themenfeldern, beispielsweise der Bereich Bildung, Familie oder Arbeit soll aufgehoben werden, die Gestaltung jugendlicher Lebenslagen soll als politische Gesamtaufgabe und als Querschnittsthema verstanden werden. Die Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik ist dabei ein Prozess, der darauf abzielt, dass die Jugendpolitik auch als dieses selbstständige Politikfeld mit einem eigenen Selbstverständnis, aber auch als Querschnittsaufgabe tatsächlich zu etablieren ist. Und mit der eigenständigen Jugendpolitik würden dann die Jugendlichen auch endlich ernstzunehmende Partnerinnen und Partner der Politik werden. Uns als Linksfraktion ist es dabei aber wichtig, dass der Begriff der „eigenständigen Jugendpolitik“ nicht zum Modebegriff verkommt, wie es derzeit, wenn man sich das beispielsweise anguckt, auch mit Blick auf die Koordinierungsstelle auf Bundesebene geschieht. Es ist zwar lobenswert, dass dort 16 Modellprojekte für die Länder und Kommunen als Nachfolgeprojekte des bis 2014 finanzierten „Zentrums eigenständige Jugendpolitik“ ausgelobt werden. Aber aus unserer Sicht besteht hier die Gefahr, wie es so oft bei Modellprojekten ist, dass hier kurzzeitig Strukturen vor Ort in den Kommunen und Ländern geschaffen werden, die dann nach Auslaufen des Modellprojekts keine nachhaltige Zukunft haben. Hier müssen wir auch den Punkt mit in den Blick nehmen, wie diese Strukturen, die im Rahmen dieser Projektlaufzeit entstehen, dann nicht verloren gehen.


Eine gute Jugendpolitik setzt aus unserer Sicht dort an, wo die Jugendlichen leben, wo sie Räume und Unterstützung benötigen und da geht es nämlich an die Wurzel ihrer Probleme. Viel zu oft sind es auch die Angebote für Jugendliche, die leider zuerst dem Rotstift zum Opfer fallen, wenn Kommunen auf ihre klammen Kassen gucken. Es ist oft nur den Mitgliedern der Jugendhilfeausschüsse zu verdanken, dass hier Folgen dieser Finanzpolitik der letzten 25 Jahre, die dazu geführt haben, abgemildert werden. Daher auch noch mal einen Dank an alle Aktiven in den Jugendhilfeausschüssen und den entsprechenden Gremien.


Übersehen wird aber noch ein anderer Punkt, und da komme ich noch mal zurück auf das, was ich anfangs thematisiert habe, die massive Armut von Kindern und Jugendlichen, denn diese hindert sie letztendlich auch daran, sich in ausreichendem Maße am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Erst in dieser Woche bzw. in den letzten Tagen gab es Zahlen, dass in Deutschland rund 1,9 Millionen Kinder in Haushalten leben, die auf den Bezug von Hartz-IV angewiesen sind. Schuld daran ist auch, dass es kaum eine Bevölkerungsgruppe gibt, die in der Politik so wenig wahr- und ernstgenommen wird wie die Jugendlichen.


In diesem Kontext hat Thomas Krüger, der Präsident des Kinderschutzbundes, erklärt – ich zitiere –: „Kinder haben nach den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf ein soziokulturelles Existenzminimum, das ihnen die Teilhabe an unserer Gesellschaft ermöglichen soll. Wir müssen feststellen, dass weder die notwendige Einführung einer Kindergrundsicherung, noch Maßnahmen in der Gesundheits- und Bildungspolitik zur Bekämpfung der Kinderarmut derzeit auf der bundesdeutschen Regierungsagenda stehen.“ Und dann ist im Kontext Ihres Antrags besonders wichtig seine Aussage dazu: „Es fehlen Maßnahmen zur Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit ebenso wie eine Stadtentwicklungsplanung zur Unterstützung benachteiligter Stadtquartiere oder Initiativen für mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland.“


Die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen will sich aber dieser Verantwortung stellen und versucht daher, den Begriff der „eigenständigen Jugendpolitik“ mit Inhalten zu füllen.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So sind die Stärkung und die bedarfsgerechte Ausgestaltung der Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit sowie der Jugendsozialarbeit für uns ebenso wichtige Themenbereiche, wenn wir über die Frage der sozialen Daseinsfürsorge sprechen, und zentrale Elemente der eigenständigen Jugendpolitik, ebenso wie die Verstärkung und die Verbesserung der Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen.

Partizipation, Empowerment und Lebensweltorientierung verstehen wir als zentrale Bestandteile der Jugendarbeit. Unser Bestreben ist es, für ein Angebot in Thüringen zu sorgen, welches dazu bedarfsgerecht ausgestattet ist, Städte und ländliche Gebiete umfasst und Jugendliche in allen Gesellschaftsschichten mit einbezieht, denn die Lebensbedingungen von Jugendlichen werden bekanntlich in ihrem unmittelbaren sozialräumlichen Umfeld geprägt, das heißt, von der örtlichen Verkehrspolitik, vom Vorhandensein der Nutzbarkeit örtlich verfügbarer Freizeit- und Bildungsangebote sowie von den Kulturangeboten oder den sportlichen Betätigungsmöglichkeiten, auf die sie zurückgreifen können.


Auch wenn einige dieser Felder in der grundlegenden Ausrichtung vielleicht nicht allein durch die kommunale Politik gesteuert werden, so zeigt sich doch deutlich, dass es ein Fehler ist, auf der kommunalen Gestaltungsebene leider noch zu oft Jugendlichen und ihren Interessen keine Beachtung zu schenken. Genau hier setzt auch unsere Kritik am CDU-Antrag zum Teil an. Er versteht nämlich die eigenständige Jugendpolitik nicht als das, was vorhin in der Einbringung zumindest mal kurz durchschimmerte, wo ich noch Hoffnung habe, dass es doch so verstanden wird, nämlich als einen gemeinsamen Prozess von unten mit Kindern und Jugendlichen.


Der Antrag suggeriert, dass eben hier die weitere Arbeit eines Landesprogramms in der Landesstrategie von oben stattfinden soll. Auch das sehen wir anders. Auch hier braucht es das Einbeziehen zum einen bestehender Konzepte und Aktivitäten der partizipativen und eigenständigen Jugendpolitik in die Weiterentwicklung dessen, was sich Rot-Rot-Grün als Ziel gesetzt hat, und es braucht natürlich die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in diesen Prozess.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn wichtig ist uns, dass Jugendpolitik nicht etwas Neues von oben Aufgestülptes sein soll, sondern eben hier der Politikansatz der eigenständigen Jugendpolitik tatsächlich ernst genommen wird, ein Ansatz, der sich durch alle Ressourcen, alle Verwaltungsebenen ziehen muss, der alle Beteiligten an den Tisch holt und dann am Ende ein Landesprogramm das Ergebnis ist, wo alle Protagonisten einer eigenständigen Jugendpolitik bereits bei der Erarbeitung von Anfang mit einbezogen wurden und werden. Hier weist der Antrag der CDU-Fraktion dann doch noch erhebliche Schwächen auf.

Da im CDU-Antrag vielleicht doch an der einen oder anderen Stelle zumindest – so war es gerade auch angedeutet – vielleicht noch diskussionswürdige Ansätze zu finden sind wie beispielsweise die intensivere Begutachtung der Lage junger Menschen in Thüringen oder die Frage, wie im Vorfeld von Verordnungen, Gesetzentwürfen eine Art Jugendcheck, so wie es im Antrag steht, durchgeführt werden kann, plädieren wir allerdings dafür, den Antrag und das Thema im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport weiter zu diskutieren. Ich bin gespannt auf die Debatten dazu.

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