Den Opfern des NS-Staates gedenken! Den Volkstrauertrag hinterfragen! Gedenken neu denken!

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In der direkten Nähe zur ehemaligen Haftanstalt auf dem Festungsplateu der Zitadelle auf dem Petersberg wurde am Sonntag, dem 15.11.14 denjenigen gedacht, die der Wehrmacht und dem Naziregime den Rücken gekehrt haben und ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben gegen dieses Terrorregime vorgehen wollten. Hierbei handelt es sich um eine abgeänderte Fassung meiner Rede zum Gedenken.

Der Vorwurf des  „Kriegsverrat“ wie es im NS-Jargon hieß und damit die Ausschaltung von Kriegsgegner*innen und von  Wehrmachtsdeserteuren sowie die damit einhergehenden  Bestimmungen waren zentrales Terror- und Willkürinstrument der  Wehrmachtjustiz. Im NS- und Militärsprech haben die, denen hier gedacht wird, „Fahnenflucht“ begangen. Tatsächlich aber haben sie Mut bewiesen. Dieser Mut darf allerdings auch unsere Sicht auf den Widerstand im Dritten Reich nicht verengen lassen. Der Widerstand gegen Hitler wird oft reduziert dargestellt in Bezug auf die Widerstandsgruppe des 20. Juni 1944. Diese Widerstandsgruppe dürfen  wir weder vergessen noch dürfen wir diese glorifizieren. Dadurch wird der kommunistische, sozialdemokratische, kirchliche oder jüdische Widerstand oft marginalisiert. Dies ist der falsche Weg. Jede Form von Widerstand, die zum Ziel hatte, den faschistischen Terror und den Krieg zu beenden, verdient Respekt und Würdigung. Wir  benötigen eine intensive  Aufarbeitung des Widerstandes, um ein  differenziertes Bild dieses Kapitels der Geschichte zu erhalten. 

Das Denkmal des unbekannten Wehrmachtsdeserteurs selbst zeigt dabei ein Problem auf, aber zugleich auch eine Notwendigkeit. Der Künstler hat ein Denkmal geschaffen, das seinen Bedeutungsgehalt nicht sofort und nicht auf den ersten Blick offenbart. Damit wird dem Gedenken an den Widerstand und die Opfer der deutschen NS-Justiz ein Platz am Rande der Öffentlichkeit geboten. Dieses Dasein fristen sie häufig. Um dieses Problem zu beheben ist es notwendig, eine offenere und kritischere Erinnerungspolitik an den Tag zu legen. Darauf macht dieses Denkmal ebenfalls aufmerksam. Die meisten Gedenkveranstaltungen finden heute an Stellen statt, die den Opfern der beiden sogenannten großen Kriege gewidmet sind.

Das müssen wir ins Gedächtnis rufen, denn wir müssen die deutsche Erinnerungs- und  Gedenkpolitik hinterfragen. Deshalb muss Kritik an dem staatlich verordneten und historisch aufgeladenen Volkstrauertag muss hier und heute auch ihren Platz finden, um denen gerecht werden zu können, die Opfer des NS-Regimes waren und um sie nicht mit den Täterinnen und Tätern gleichzusetzen. Denn dies geschieht durch das starre Festhalten an diesem Tag. Mit seinem Ursprung im Gedenken an die gefallenen deutschen Soldaten im 1. Weltkrieg, dem damit verbundenen Revanchismus und dem im Jahr 1934 zum „Heldengedenktag“ gewordenen Staatsakt müssen wir uns bewusst sein, dass dieser Tag mit seiner Umdeutung und heutigen Lesung ohne eine konsequente, schmerzhafte und damit auch neue Erinnerungspolitik die Opfer verhöhnt und die Täter*innen rehabilitiert. 

Der Volkstrauertag ist in seiner historischen Betrachtung der Nachkriegszeit ein Armutszeugnis für den Umgang mit deutscher Geschichte und Geschichtsschreibung. Die Spezifika des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieges werden unterschlagen, wenn am Volkstrauertag der Toten beider Weltkriege – und mittlerweile aller Kriege und gewalttätigen Konflikte - gedacht wird und von dem Land der Täter*innen Versöhnung eingefordert und zu dieser gemahnt wird. Die Gräueltaten des 2. Weltkrieges müssen separat betrachtet werden. Den Volkstrauertag als Tag zum Gedenken der Opfer aller Kriege umzudeuten, ist ein Mechanismus der Gleichsetzung und der Normalisierung, der den im NS-Staat geschehenen Verbrechen und Unrecht nicht Rechnung trägt. Damit wird auch deutlich, dass es immer noch an dem Willen fehlt, die NS-Diktatur und all ihre Facetten zu wirklich zu beleuchten und tatsächlich Wiedergutmachung zu leisten. Die Überlebenden der Deportationen bspw. in Slowenien warten wie viele andere Menschen in Europa, denen ähnliches wiederfahren ist, auf eine tatsächliche Entschädigung. Die Bundesregierung redet sich dann gerne heraus, mit dem Verweis auf die Wirtschaftshilfen für die ehemaligen besetzten Staaten. 

Diese Art der Erinnerungspolitik wird auch den Wehrmachtsdeserteuren nicht gerecht, denen wir hier heute gedenken wollen. Sie waren der Sand im Getriebe des NS-Staates, wie es auf der Bronzetafel steht, die hier im Boden eingelassen wurde.  

Gedenken müssen wir neu denken, müssen wir neu lernen und müssen wir neu gestalten. Das heißt auch wir müssen vom historisch besetzten Volkstrauertag Abstand nehmen und den Opfern des NS und dem Widerstand fortwährend gedenken. Das heißt auch unseren Beitrag dazu leisten, dass ihr Kampf und die Opfer nicht umsonst waren. Das heißt wir müssen konsequent Eintreten gegen Rassismus, gegen Faschismus und gegen die erstarkenden Tendenzen der neuen Rechten, die mit Leistungs- und Abwertungsideologien Raum zu gewinnen. Das muss für uns die Lehre sein aus der Geschichte und der Erinnerung an die Verbrechen, die Teil der deutschen Geschichte sind und nicht vergessen und verdrängt werden dürfen.