Demokratisierung ist kein Schritt zurück

Demokratisierung ist kein Schritt zurück

Ein Leserbrief zum Beitrag „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück: Das neue Thüringer Hochschulgesetz“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 24.05.2017

Das Thüringer Hochschulgesetz ist reformbedürftig. Das mag die Landesrektor*innenkonferenz anders sehen, dann aber missachtet Sie die Ergebnisse des Hochschuldialoges der 2016 an allen Hochschulstandorten in Thüringen geführt wurde. Und dort wurde nicht nur von Studierenden, sondern ebenso von Beschäftigten und Professor*innen der Ruf laut nach mehr Mitbestimmung und Demokratie in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung. Dieser Tatsache können sich die Hochschulleitungen gerne verweigern, aber dann zeigt es doch umso mehr, wie wichtig eine stärkere Beteiligung aller Hochschulangehörigen ist. Und der Hochschuldialog wurden eben aus dem Grund geführt, damit die politischen Entscheidungsträger*innen im Parlament und der Landesregierung merken, wie „die Wissenschaft tickt“. Es ist scheinbar der übliche Abwehrreflex, dass ein mehr an Mitbestimmung automatisch als bürokratischer Aufwuchs und lähmend betrachtet wird. Das Diskussionen nicht bürokratisch und lähmend werden, hängt neben den Strukturen der akademischen Selbstverwaltung, aber auch oft mit der Frage zusammen wie kooperativ, transparent und konstruktiv in den Gremien miteinander gearbeitet wird. Da müssen sich einige Hochschulleitungen, dann auch einmal selber an die Nase fassen und hinterfragen, ob sie nicht Nachholbedarf haben. Der akademische Senat der TU Berlin, will sich beispielsweise für einen Kulturwandel und mehr gegenseitige Wertschätzung einen Kommunikationskodex geben. Das könnte Vorbildcharakter haben.

Und dann wird noch ins Feld geführt, der Gesetzentwurf würde Entscheidungsprozesse lähmen, weil nicht klar sei, wann welche Entscheidung mit der Professor*innenmerheit zu beschließen ist. Hier ist eines klarzustellen: Mit dem Gesetzentwurf soll ein Katalog entwickelt werden, der klar regelt in welchen Fällen eine Professor*innenmehrheit notwendig ist und in welchen nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu klar geurteilt, auch wenn ich persönlich der Meinung bin, dass auch die Frage ob Wissenschaftsfreiheit nur eine hohes Gut der Professor*innen ist, im 21. Jahrhundert neu verhandelt werden könnte. Oder sind wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und Studierende etwa nicht Teil des Wissenschaftssystems. Aber zurück zum Vorwurf: Auch für den Streitfall sieht das Gesetz Regelungen vor, denn in diesem hat die Hochschulleitung die Möglichkeit den Sachverhalt durch das zuständige Ministerium prüfen zu lassen. Warum dies also als offene Frage deklariert wird, obwohl im Gesetz eine Regelung verankert ist, bleibt mir schleierhaft.

Und wenn als Gegenargument gegen die Demokratisierungsbestrebungen vorgebracht wird, dass ja nur die Professor*innen den Hochschulleitungen völlig frei widersprechen könnten, weil Mitarbeiter*innen sonst in Loyalitätskonflikte kommen und Hochschulleitungen immer ein leichtes Spiel habe mit Studierendenverteter*innen zeigt es doch noch viel deutlicher, dass eine gefährliche Schieflage entstanden ist. Wenn es nicht mehr möglich ist, das nicht professorale Hochschulmitglieder Entscheidungsprozesse und Sachverhalte an einer Hochschule in Frage stellen können, frage ich mich persönlich ob die betreffenden Hochschulleitungen noch wissen, was Sinn, Zweck und Anspruch von Wissenschaft ist. Ich könnte den Spieß also einmal umdrehen und fragen wer hier nicht begriffen hat wie die Wissenschaft tickt?