Reisetagebuch: Katalonien - Unabhängigkeitsbewegung, Munizipalismus und Selbstorganisierung

Reisetagebuch: Katalonien - Unabhängigkeitsbewegung, Munizipalismus und Selbstorganisierung

 

Vom 09. Bis 15. Oktober war ich mit der Rosa-Luxemburgs-Stiftung in Katalonien unterwegs auf einer Bildungsreise in deren Mittelpunkt natürlich auch die aktuelle Situation rund um das Referendum und die Unabhängigkeitsbewegung stand. Aber nicht nur das: wir haben uns auch mit dem Munizipalismus, also basisdemokratischer Organisation von Kommunen sowie der Arbeit von Genoss*innenschaften vor Ort, solidarischer Ökonomie und Nachbar*innenschaftspolitik beschäftigt. Viele spannende Begegnungen und Gespräche standen auf der Reise an. Die Zusammenfassung meiner täglichen kleinen Reiseberichte auf Facebook bekommt ihr hier nochmal gesammelt zum Nachlesen.

Und alle die sich nochmal tiefgehender mit der Thematik beschäftigen wollen und auch über die Geschehnisse und politischen Projekte in Katalonien diskutieren wollen, denen will ich hier noch zwei Veranstaltungstermine ans Herz legen und war einmal Mittwoch, den 08.11. um 18.30 Uhr im RedRoXX (Pilse 29, Erfurt) und Mittwoch, den 20.11. auch um 18.30 Uhr in Wemar (Marktstraße 17, Weimar). Da werde ich zusammen mit Steffi aus dem Wahlkreisbüro in Weimar, die ebenfalls mit auf der Reise war nochmal einen detaillierteren Einblick geben.

 

Tag 1 zwischen spanisch/katalanischer Geschichte und Einblick in Selbstorganisation in der Kommune (09.10.17)

Vilanova eine Stadt mit ca. 70.000 Einwohner*innen ist für die kommenden Tage bei der Reise mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung unser Zuhause. Grund genug sich heute einmal genauer umzuschauen und einen Einblick zu bekommen wie verschiedene Akteur*innen sich hier organisieren. Der Großteil der Menschen hier arbeitet in Barcelona und pendelt entsprechend täglich. Juan, der uns heute durch die Stadt führte, nannte Vilanova aus diesem Grund auch "Schlafstadt". In der Stadt befinden sich sowohl 12 kommunal unterstützte Nachbar*innenschaftsprojekte als auch 15 selbstorganisierte kulturelle Zentren. Ein Beispiel dafür ist das "Can Pistraus" ein angemieteter Raum dessen Verwaltung durch 250 Personen gewährleistet wird und wo neben einer Kneipe auch Filmabende und ein selbstorganisiertes nicht-kommerzielles Festival entstanden sind und das kulturelle Leben der Stadt mitprägen. Die kulturellen Zentren sind dabei nicht zwingend klassisch politisch eingebettet, sondern sind Ausdruck der katalanischen Kultur und ihrer Erhaltung aus der Erfahrung der Unterdrückung während der Diktatur.

Ein anderes Beispiel für Selbstorganisation das uns Juan zeigte, ist das "Casal popular se Vilanova". Die ehemalige Bankfiliale wurde besetzt und zu einen selbstverwalteten Jugendzentrum umgewandelt. Verschiedenste Gruppen nutzen den Raum seit vier Jahren: das reicht von Tierschützer*innen, feministischen Gruppen, über die Jugendorganisation Arran (für die Unabhängigkeit, Sozialismus und Feminismus ohne Parteizugehörigkeit) bis hin zu einem Antirepressionskollektiv. Hier haben die Jugendlichen Platz und Raum eigene Forderungen und Positionen gemeinsam zu entwickeln und politischen Aktionen zu planen. Allerdings wurde dies in den letzten Jahren auch schwieriger, da im Rahmen der Platzbesetzungen zunehmen staatliche Repressionen gegen die Besetzer*innen die eigene politische Aktivität erschwerten, weil die Antirepressionsarbeit immer wichtiger wurde und viele Ressourcen aufbraucht. Politisch selbstorganisierte Räume wie das "Casal popular" gibt es verschiedene, die sich natürlich ausgehend von den tragenden Organisationen und Akteur*innen in der Zielrichtung und Ausgestaltung erheblich voneinander unterscheiden, aber eines gemeinsam haben: das Ziel Menschen einen Raum zur gemeinsamen politischen Arbeit anzubieten und zu organisieren und zwar von unten.

Gesprochen haben wir mit Juan natürlich auch über das Referendum und wie es sich in Vilanova gestaltetet hat. Im Rahmen der Abstimmung haben sich sogenannte CDRs gebildet, "Komitees zur Verteidigung des Referendums". Diese hegen wie viele Befürworter*innen der Unabhängigkeit den Wunsch, durch die Souveränität Kataloniens progressive politische Reformen umsetzen zu können, die in den Grenzen des spanischen Zentralstaates nicht möglich sind. Das dies tatsächlich ein Problem ist, konnten wir beim historischen Crashkurs zu Beginn des Tages erfahren, denn 139 sozialpolitische Reformprojekte in Katalonien wurden durch den spanischen Zentralstaat bisher blockiert, darunter bspw. das Gesetz gegen Zwangsräumungen. Die mögliche Unabhängigkeit wird daher als Weg verstanden, über den Prozess einer verfassungsgebenden Versammlung den Raum für solche Projekte zu öffnen. Die Unabhängigkeit verstanden als Prozess wird daher auch betrachtet als Instrument zum Bruch mit der Verfassung von 1978, einem Projekt der Eliten des Franco-Regimes mit den politischen Eliten der konstitutionellen Monarchie. In Vilanova waren 5000 Menschen zum Schutz des Referendums aktiv. Da viele erstmals politisch aktiv waren, hatten die Komitees (CDRs) auch die Funktion ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, indem bspw. Informationen zum aktuellen Geschehen verarbeitet, geprüft und übermittelt wurden, vor allem um angesichts des Vorgehens der Guardia Civil panische Stimmung zu vermeiden und einen friedlichen Ablauf des Referendums zu gewährleisten. Die Wahlbeteiligung in Vilanova lag bei 52% und brachte eine Zustimmung von 90% der abgegebenen Stimmen.

All diese Eindrücke und Berichte über die Arbeit der Selbstorganisation und auch der Eindrücke vom Referendum vor Ort in Vilanova standen dabei heute im Kontext des historischen Crashkurses zur spanischen und katalanischen Geschichte die uns Raul vermittelte. Die hier in Gänze auszuführen, ist kaum möglich. Wichtig ist allerdings zu verstehen, dass der Bruch mit der Diktatur Francos und eine Aufarbeitung der Verantwortung für die Verbrechen in dieser Zeit fehlt. In der staatlichen Struktur insbesondere in der Polizei und Armee, aber auch des zentralistischen Staatsverständnisses Spaniens, leben strukturelle Elemente der Francozeit fort und bestimmen damit auch das Verständnis und den Blick auf die Frage nach Souveränität. Worum es hier geht, so unser Eindruck, ist der Bruch mit diesen Machtkontinuitäten und damit einhergehend die Vergesellschaftung von Macht, sprich die Institutionalisierung von basisdemokratischen Elementen durch eine verfassungsgebenden Prozess. Ob dazu die Unabhängigkeit der geeignete Weg ist und welche Probleme sich damit auftun, vielleicht auch welche Widersprüche angesichts dessen das ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft Kataloniens aus unterschiedlichen Gründen und Motiven nicht wählen könnte oder wollte diskutieren wir dabei auch.

Dazu sagte Juan aber auch, dass sich die Befürworter*innen ein rechtlich legitimierten Referendum wünschen, damit beide Seiten eine faire Auseinandersetzung in der politischen Diskussion führen können, über das Für und Wider. Die aktuelle Situation verunmöglicht dies, was zeigt warum das Recht auf die demokratische Entscheidung von wesentlicher Bedeutung ist zur Lösung dieses Konfliktes. Mit diesen Eindrücken, neuen Erkenntnissen, aber auch neuen Fragen geht es heute nach Barcelona zu weiteren Gesprächen mit zivilgesellschaftlichen wie parteipolitischen Akteur*innen der Unabhängigkeitsbewegung.

 

Tag 2 In Erwartung der Rede von Puigdemont (10.10.17)

Auf dem Plan heute stand der Besuch von Barcelona verbunden mit Gesprächen mit Omnium cultural, einer zivilgesellschaftlichen Organisation und anschließend zwei Vertretern von Junts pel Si im Katalanischen Parlament. Beide Termine waren dabei natürlich bestimmt von der Frage ob der Ministerpräsident Puigdemont am Abend die Unabhängigkeit erklären wird oder nicht und was daraus folgen wird.

Zunächst zum Besuch bei Omnium Cultural. Diese Organisation, die 73.000 Mitglieder hat, setzt sich bereits seit den 1960er Jahren, aus der Erfahrung der Unterdrückung der katalanischen Sprache während der Diktatur Francos, für die Interessen der Bevölkerung Kataloniens ein. Daher lag auch der Fokus der Arbeit zunächst gar nicht auf dem Referendum oder der Frage der Unabhängigkeit sondern u.a. auf dem Sichtbarmachen und vernetzen von sozialen progressiven Protesten in Katalonien. Aus diesem Verständnis heraus leitet sich auch das Eintreten für die Unabhängigkeit ab, denn so wurde in dem Gespräch zusammengefasst, dass Omnium Cultural die Unabhängigkeit nicht als nationales Projekt sondern als Weg versteht, um über den eigenen Staat ein Instrument zu haben, um eine progressive Politik gestalten zu können die der spanische Zentralstaat aktuell regelmäßig durch das Verfassungsgericht blockiert. Das macht deutlich: Es geht nicht um nationale Abschottung, sondern um eine neue Form des politischen Wirkens und einer Erneuerung der Demokratie. Ein Aspekt der in der Diskussion wichtig und zu berücksichtigen ist. Mehr zur Arbeit der Organisation kann auch nachgelesen werden unter www.omnium.cat/english

Im Anschluss folgte ein Gespräch mit den Abgeordneten Jordi Miquelon Sendra Velle und Chakir el Homanri Lesfer von Junts per Si im Parlament. Diese Fraktion ist aus einem Wahlbündnis bei der Wahl 2015 hervorgegangen, nachdem das geplante Referendum 2014 verboten wurde und für die anstehenden Regionalwahlen eine gemeinsamen Liste verschiedener Parteien aus Befürworter*innen aufgestellt wurde, um über diesen Weg eine Art plebiszitäre Wahl über die Unabhängigkeit zu machen. Das Bündnis besteht aus der Demokratischen Partei Kataloniens (Convergència Democràtica de Catalunya) sowie der linksrepublikanischen Partei (Esquerra Republicana de Catalunya). Beide Abgeordnete haben nochmal dargestellt, welche Vereinbarung es in Bezug auf das Referendum am 01. Oktober per Gesetz gab. Bei einem Ja sollte binnen 48 Stunde die Unabhängigkeit erklärt werden. Um allerdings den Raum für Verhandlungen und den Dialog zu öffnen wurde, auch angesichts der Umstände des Referendums, darauf verzichtet und erst für gestern die Regierungserklärung angesetzt. Beide haben in dem Kontext aber auch drauf verwiesen, dass die Zeit für Kompromisse mit dem spanischen Zentralstaat gewissermaßen abgelaufen ist. 18-mal wurde versucht mit der spanischen Regierung den Dialog zu suchen und jedes Mal wurde dieser abgelehnt. Daher stand nun aus Sicht der katalanischen Regierung nur die Frage im Raum: "Referendum oder Referendum?" Angesichts der Repressionen im Vorfeld des Referendums (Verbot von Versammlungen, Störung von Websites, Ausweitung von Personalkontrollen, etc.) verwiesen die beiden auch deutlich drauf, dass es aktuell nicht mehr allein um die Verteidigung des Referendums geht, sondern Auch um die Verteidigung demokratischer Grundrechte. Nach wie vor ist die katalanische Regierung dennoch bereit einen Weg des Dialoges zu wählen. Sorge haben beide aber, dass mit der Zeit die pro-europäische Stimmung in der Bevölkerung und speziell der Unabhängigkeitsbewegung schwindet, wenn nicht der Dialog und Vermittlungsprozess aktiv durch die EU begleitet wird. Der Wunsch ist es, das die europäischen Staaten begreifen, dass es nicht nur einer spanischer Konflikt ist, sondern international Verantwortung übernommen werden muss, wenn demokratische Prinzipien verteidigt werden sollen.

Am Abend haben wir dann gemeinsam mit Zehntausenden Menschen auf dem Platz vor der Sperrzone des Parlamentes die Rede des Ministerpräsidenten Puigdemont verfolgt. Dazu will ich gerne auf die Einschätzung und Bewertung von Raúl Zelik verweisen, der schreibt: "Er hat immer wieder von "Empathie" gesprochen und die Perspektiven der anderen eingenommen - von denjenigen, die jetzt Angst vor der Zukunft haben, die von der Polizeigewalt traumatisiert worden sind, die außerhalb Kataloniens leben und das alles nicht verstehen, von denen, die letztes Wochenende für die spanische Einheit demonstriert haben ... Man könnte auch sagen: Es war eine durch und durch antikriegerische Rede. Vor allem aber was es eine Rede für die internationale Öffentlichkeit. Die ganze Vorgeschichte des Konflikts wurde noch einmal ausführlich erklärt. Puigdemont hat die Gültigkeit des Referendums und damit die Erklärung der Unabhängigkeit bekräftigt - sie aber zugleich "für einige Wochen" suspendiert, um den internationalen Vermittlern Zeit zu verschaffen (so ähnlich ist auch Slowenien 1991 vorgegangen). Puigdemont ist damit vor allem auf die Bitten spanischer Linker, der Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau und der internationalen Vermittler eingegangen. Man kann nur hoffen, dass diese Leute und "Europa" jetzt auch etwas damit machen, sich also genauso reinhängen wie diejenigen, die am 01. Oktober die Wahllokale friedlich gegen die Polizei schützten. Puigdemont ist erneut ein großes Risiko eingegangen. Denn der spanische Staat bedroht ihn mit Gefängnis, die Leute auf dem Platz waren über den letzten Teil der Rede sehr enttäuscht, viele haben gepfiffen. Und die CUP hat im Parlament geantwortet: "Es gibt keine Gegenseite, die verhandeln will." Das sollte vielleicht auch endlich in Berlin verstanden werden: Hier heißt es Republik oder autoritärer Ausnahmezustand.

PS: Die Abgeordneten der Mehrheitsparteien haben im Anschluss an die Rede die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet. PPS: Die CUP hat im Anschluss an die Sitzung angekündigt, ihre Mitarbeit im Parlament vorübergehend einzustellen. Mit ihr werde es "kein Autonomieparlament" mehr geben. Sie kritisieren nicht in erster Linie die Suspendierung, sondern dass die Erklärung in der jetzigen Form rechtlich unwirksam ist."

Heute werden wir u.a. die Stadtregierung von Barcelona treffen, was sicherlich neben der Frage der Gestaltung einer solchen Stadt mit den Menschen auch den Raum bietet weiter über die Rede und Entscheidung von Puigdemont zu diskutieren und darüber wie dieser Prozess nun weitergehen wird. Dazu gibt's dann morgen mehr.

 

Tag 3 Stadtpolitik von unten links (11.10.17)

Auf dem Plan standen Besuche bei der Barcelona en Comù, Guanyem Badaloma es Comù und dem sozialen Zentrum Can Battlo. Barcelona en Comú ging aus den sozialen Protesten gegen die Zwangsräumungen als Bewegung hervor und wandelte sich auch durch den Wunsch und Druck der Zivilgesellschaft hin zu einer Partei, wenn auch gewissermaßen nicht im klassischen Sinne. Das Wort Bewegungspartei definiert die Organisation besser und bekommt bei dieser nochmal eine neue bzw. klarere Bedeutung. Über diese Entwicklung und die damit einhergehenden Konflikte und Spannungsfelder haben wir mit Xavi, einem Vertreter von Barcelona en Comú ausführlich gesprochen. Umfragen 2014 zeigten, dass die damalige Plattform rund um Ada Colau Chancen hätte die Kommunalwahlen zu gewinnen und darauf hin begann der Diskussionsprozess ob es sinnvoll wäre eine Partei zu gründen. Das wurde unter der Voraussetzung als sinnvoll erachtet, dass die sozialen Bewegungen und ihre Anliegen gestärkt werden. In Vollversammlungen wurde der Gründungsprozess diskutiert und vorangetrieben. Auch das Programm wurde mittels inhaltlichen Arbeitsgruppen die für alle offen waren und einem onlinebasierten Abstimmungsverfahren erarbeitet. Nach der Parteigründung und Programmentwicklung gewann die neue Organisation 2015 die kommunalen Wahlen und würde Ada Colau Bürgermeisterin. Damit begann für Barcelona en Comú ein völlig neuer und zugleich schwieriger Prozess im Gang durch die Institutionen. Mit der Politik der intransparenten Pakte und Deals der Vorgänger*innen musste gebrochen und diese Art der Politik zunächst aufgedeckt werden, um diese schließlich schrittweise zu ändern. Gleichzeitig musste versucht werden, die Rückbindung an die Basis der Partei, den sozialen Bewegungen zu erhalten, trotz des ständigen eingebunden und getrieben Seins in die starren Strukturen er kommunalen Verwaltung. Ein Spagat der nicht einfach zu schaffen ist und an dem die Organisation wuchs und wächst. Wichtig sind in diesem Kontext die Beteiligungsformen, bei denen vor allem digitale soziale Netzwerke und Plattformen eine wichtige Rolle spielen wie auch die Diskussionen in Vollversammlungen der Basisgruppen. Eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, die die Arbeit der Stadtregierung einer breiten Masse der Bevölkerung zugänglich macht, ist derzeit eine der größten Herausforderungen. Auch über die das Referendum und die Folgen haben wir gesprochen. Unser Gesprächspartner betrachtete die Entscheidung , die Unabhängigkeit zu erklären, aber gleich zu suspendieren als wichtigen Schritt, um einen Dialog möglich zu machen und kritisierte in Bezug auf die Debatte. Der letzten Wochen sowohl das Verhalten der spanischen Zentralregierung als auch der Unabhängigkeitsbefürworter*innen in Katalonien. Ziel muss es aus Sicht von Barcelona en Comú sein, in diesem Konflikt eine Bewegung zu organisieren und zu unterstützen, die den Kampf um die Selbstbestimmung im Sinne eine Demokratisierung vorantreibt und aktuelle Situation dafür nützt, das Potential dazu wäre vorhanden. Zudem verwies Xavi auf das Netzwerk der rebellischen Städte und rief dazu auf, sich daran europaweit zu beteiligen und auch hier die Vernetzung weiter voranzutreiben, um politische Beteiligung in den Kommunen zu stärken und so im Sinne eines munizipalistischen Ansatzes auch die Demokratie von unten zu stärken.

Am Nachmittag folgte ein Besuch in Badalona. Dazu konnten wir mit Jose Téllez und Laia Sabater Díaz von Guanyem Badalona en Comú sprechen, einem Wahlbündnis, aus 6 Parteien, dass 2015 gemeinsam antrat, um die zuvor 4 Jahre lang regierende rechtskonservative Regierung abzulösen, was sie zu ihrer eigenen Überraschung auch schafften. Auch diese Wahlbündnis, wenn auch bestehend aus verschiedenen Parteien, wurde maßgeblich durch die sozialen Bewegungen mitgetragen. Die Frage der Selbstbestimmung der Einwohner*innen sollte im Mittelpunkt stehen. So auch mit Blick auf die der Unabhängigkeit Kataloniens. Überraschend gewann das Bündnis mit einem Guerillawahlkampf übrigens, da es sich erst zwei Monate vor der Kommunalwahl gegründet hatte. Konsens aller Akteur*innen war dabei, dass alle Beteiligten als Einzelpersonen für mehr Selbstbestimmung streiten und die Parteizugehörigkeit keine Rolle spielen sollte. Nach der überraschenden Wahl, nach der das Bündnis nun neben 10 von 24 Sitzen im Stadtrat der 200.000 Einwohner*innenstadt auch die Bürgermeisterin stellt, taten sich auch hier Spannungsfelder auf. So zogen sich einige Akteur*innen zurück, da das Ziel ja erreicht zu sein schien. Andere hingehen kritisieren, die mangelnde Rückbindung an die Basis, die mit der Einbindung der Akteur*innen in die Stadtverwaltung einher ging. Diese Spannung wurden allerdings schrittweise abgebaut, indem die Basisversammlungen nun flexibler gestaltet wurden. Wesentliche Projekte die angegangen wurden in den letzten beiden Jahren waren die Stärkung der Bürger*innenbeteiligung, die Bedingung von Prestigeprojekten der Vorgängerregierung zu Gunsten von stadtteilorientierten Projekten, die aus dem Beteiligungsprozess entstanden waren und der Ausbau des kommunalen Wohnungsbaubestands. Ein spannender Blick auf die Frage wie Stadtpolitik von unten und links gestaltet werden kann.

Der Bericht zu den Besuchen des sozialen Zentrums in Can Battlo am Mittwoch, dem damit verbundenen Wohnungsbauprojekt folgt morgen, ebenso wie die kurze Übersicht zur Geschichte der Genoss*innenschaften und Kooperativen in der Region und der heutigen Situation der Kooperativen in der Region die wir gestern in Barcelona erhalten haben.

 

Tag 4 Wirtschaft neu denken und soziale Ökonomie lebendig werden lassen (12.10.17)

Der Bericht zum Donnerstag knüpft noch kurz an an unseren Besuch in Can Batlló am Mittwochabend in Barcelona an. Can Batlló ist ein soziales Zentrum, dass sich auf einem ehemaligen Industriegelände aus dem 19. Jahrhundert befindet. Viele soziale Zentren in der Stadt wurden in den letzten Jahrzehnten durch den Druck der Nachbar*innenschaftskollektive ermöglicht und die dafür notwendigen Räume erkämpft. Can Batlló ist ein Beispiel dafür. Can Batlló ist ein von den Anwohner*innen kollektiv genutzter und selbstverwalteter, offener Ort. Im Zuge der großen Demonstrationen im Jahr 2011 besetzten mehrere tausend Menschen ein Gebäude - und verwandelten es in Eigenleistung in eine Bibliothek, eine Bar und einen Veranstaltungssaal. Von dort aus entwickelte sich das Gelände und Kollektiv immer weiter. Die Räume bieten Platz für Sportkurse, Kultur, Kunst und soziale Projekte. Es haben sich auch eine Bar, verschiedene Werkstätten, eine Kletterwand sowie eine Zirkusgruppe etabliert. Geplant sind zudem noch eine Brauerei und eine Bildungsstätte. Besonders beeindruckend war auch der Einblick in das neue Wohnprojekt, dass auch dem Gelände entsteht. Aus einem Genossen*innenschaftsmodell entsteht derzeit ein mehrstöckiges Wohnhaus, für das von Beginn der Planung bis zur Fertigstellung 3 Millionen veranschlagt sind und das sozialen Wohnraum zur Verfügung stellen soll. Mit den Einlagen der Genoss*innenschaftsmitglieder konnte über Genoss*innenschaftsbanken und Kollektive das notwendige Geld per Kredit zur Finanzierung akquiriert werden. Ein spannender Einblick, wie sich mit dieser Form des solidarischen Wirtschaftens ein Wohnprojekt sich dem spekulativen Immobilienmarkt entzieht.

Am Donnerstag bekamen wir dann bei einer kleinen Führung durch den Stadtteil Sants, als altes Arbeiter*innen- und Industrieviertel auch einen Einblick, wie sich einerseits diese Formen der Genoss*innenschaften, Kollektive, Kooperativen und solidarischen Ökonomie entwickeln konnte und wie sie sich jetzt in Barcelona gestalten. Im Rahmen der Industrialisierung in Barcelona im 19. Jahrhundert bildeten sich diese Formen des Wirtschaftens als Antwort auf die sich veränderteren Arbeits- und Lebensbedingungen aus, um ein neues politisches und soziales Projekt zu schaffen. Im Wesentlichen ging es dabei darum Mechanismen und Organisationsformen zu entwickeln, die Löhne und Arbeitsrechte verteidigten, gegenseitige Hilfe im Viertel und eine Selbstversorgung mit Gütern des täglichen Lebens ermöglichten sowie ein eigenes Kulturangebote schafften. Es entstand gewissermaßen eine proletarische Parallelgesellschaft mit dem Ziel einen Beitrag zum Aufbau einer sozialen Republik zu leisten, die den Alltag der Menschen verbessert. Diese Strukturen reichten neben Genoss*innenschaften und Kollektiven, über die Etablierung von Reformschulen, einer eigenen Kultur und Theaterszene sowie Räumen für eine syndikalistische Bildungsarbeit. Ihren Höhepunkt hatte diese Bewegung, die in sich noch einmal sehr differenziert war in den 1910er Jahren, speziell 1919 mit dem ersten erfolgreichen Generalstreik, dessen Ergebnis die Einführung des acht Stunden Tages war. Mit den danach folgenden Diktaturen von 1923-31 und der Franco-Diktatur wurden diese Formen des Zusammenlebens allerdings verfolgt und zurück gedrängt.

In den letzten Jahren versucht die Initiative Coop 57, die wir besuchten, wieder an diesen Konzepten anzuknüpfen und solche Projekte zu unterstützen. Zudem geht es darum Angebote in Barcelona zu schaffen, die sich an den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung orientieren. Und das wirkt. So bekamen wir einen Einblick in die Arbeit der Zeitung La Directa mit einer Auflage von 2500 Zeitungen, die als Leser*innengenossenschaft funktioniert. Das schon erwähnte Projekt Can Batllo ist ein anderes Beispiel dafür. Über Coop 57 konnten bisher 30 Genoss*innenschaftsgründungen unterstützt und realisiert werden. Insgesamt gibt es in Barcelona über 5000 Unternehmen die im Sinne einer solidarischen Ökonomie in Formen von Genoss*innenschaften, Kooperativen, Kollektiven u.a. organisiert sind. Das macht 7 Prozent des der Wirtschaftskraft der Stadt Barcelona aus. Derzeit entwickeln sich auch Genoss*innenschaften und Kooperativen in Bereichen wie Transportwesen, Telekommunikation oder dem Energiesektor. Auch im Tourismusbereich gibt es Unternehmen dieser Art die den Fokus aus eine Stärkung eines nachhaltigen Tourismus legen, um die Stadt zu entlasten. Derzeit wird auch versucht über solche Wirtschaftsformen Migrant*innen ohne Papiere Möglichkeiten der wirtschaftlichen Betätigung zu ermöglichen. Alles immer auch verbunden mit verschiedene Schwierigkeiten, aber dennoch beeindruckend, wie Wirtschaft und Ökonomie hier nicht mehr getrennt werde sollen von Sozialpolitik. Beides soll durch die unterschiedlichen Formen der solidarischen Ökonomie ineinandergreifen und Beispiele wie das gelingen können, gibt es vor Ort.

 

Tag 5 antikapitalistisch und basisdemokratisch

Während ich im Zug aus Katalonien zurück nach Erfurt rolle, schwirren die Gedanken noch immer um all die Gespräche und Treffen die wir diese Woche Ort hatten in meinem Kopf. Als letzter Termin stand am Freitag der Besuch der antikapitalistischen und linken Candidatura d’Unitat Popular (CUP) auf dem Plan. Aus dem Verständnis, dass sich die Realität der Menschen aus ihren lokale Umfeld und Lebensverhältnissen ergibt, sieht es die Partei als Aufgabe genau dort anzusetzen, vor Ort in der Kommune, im direkten Umfeld der Menschen. Das Prinzip des Munizipalismus prägt deshalb die Politik und Arbeit der Partei. Unter dem Munizipalismus kann im weitesten Sinne die Vergesellschaftung und Demokratisierung von Macht aus einer basisdemokratischen Perspektive verstanden werden. Es geht darum dort aktiv zu sein, wo starke soziale Netzwerke aktiv sind bzw. diese von unten aufzubauen. Dies zeigt sich auch in der Betrachtung der parlamentarischen Arbeit der Partei im regionalen Parlament. Die CUP sieht die parlamentarische Demokratie und ihr Wirken im katalanischen Parlament zwar als ein Instrument zur politischen Arbeit, jedoch nicht als Möglichkeit wirklich gesellschaftliche politische Veränderungen gestalten zu können. Sie vertraut daher in die eigenen Werte und Institutionen, um Menschen für Ihre Ziele in Formen der politischen Arbeit zu gewinnen. Zur Beteiligung an politischen Prozessen innerhalb der Partei setzt die CUP auf Vollversammlungen auf den verschiedenen Ebenen. Besonders wichtig ist die Arbeit in den Kommunen. Derzeit stellt die CUP 10 von 135 Bürgermeister*innen in Katalonien. Stark verankert ist sie vor allem im eher ländlichen Bereich und dort wo Nachbar*innenschaftskollektive wirken. Mit Blick auf die Frage der Unabhängigkeit Kataloniens sieht sie einen eigenen Staat als Instrument ein neues Modell von Selbstbestimmung der Bürger*innen im Sinne des Munizipalismus verwirklichen zu können. Gleichzeitig wurde in dem Gespräch mit der Vertreterin der CUP deutlich, dass es auch eine große Herausforderung sein wird, in einem Gebilde eines Staates mit seinen Institutionen ein solches Modell der politischen Beteiligung und Organisation von Gesellschaft von unten zu etablieren. Das Verständnis der CUP von Demokratie und ihre Instrumente von Beteiligung gaben uns zum Abschluss der Reise auch nochmal einem spannenden Einblick wie zum einem Parteistrukturen anders funktionieren können und zugleich, welche Bedeutung die Frage der Unabhängigkeit auch für die Frage der demokratischen Kultur in Katalonien hat.

Zum aktuellen Stand der Debatte über die Erklärung des katalanischen Ministerpräsidenten Puigdemont am Dienstag, kann ich hier wieder auf die kurze Zusammenfassung von Raul verweisen: "Der Vizepräsident der katalanischen Regierung Oriol Junqueras (Esquerra Republicana de Catalunya, ERC) hat in Anbetracht der Drohungen aus Madrid seine Unterstützung für eine sofortige Unabhängigkeitserklärung Kataloniens signalisiert. Zuvor hatte der Mitgründer der PSC (katalanische Sozialdemokratie) Ernest Maragall, Bruder des PSC-Ministerpräsidenten von Katalonien Pasqual Maragall (der 2006 mit der Reform des katalanischen Autonomiestatus am Widerstand Madrids scheiterte), die Forderung ins Gespräch gebracht. Auch die bürgerliche Assemblea Nacional Catalana verlangt seit heute Abend (12.10.17), dass die Unabhängigkeitserklärung bekräftig wird. Weiterhin auf Verhandlungen hoffen hingegen sowohl der Unternehmerflügel der liberalkonservativen PDeCat als auch die linken Comunes von Bürgermeisterin Ada Colau."