Über die soziale Unverträglichkeit von "sozialverträglichen" Studiengebühren

An deutschen Hochschulen fehlt Geld.Das stellen die Autor*innen des Beitrages "Eine Lanze für sozial verträgliche Studiengebühren" in der FAZ am 05. Juni richtig fest. Ihr Vorschlag dieses Problem mit einer bereits teilkassierten Reform, den Studiengebühren, zu lösen, geht allerdings am Problem vorbei. Der Staat muss zu seiner finanziellen Verantwortung stehen und darf diese nicht auf Studierende abwälzen. 

Zunächst erstmal sollte in der Debatte über Studiengebühren in der Bunderepublik eines festgehalten werden: Sie sind nicht gänzlich abgeschafft. Wer dies suggeriert, sollte einen Blick auf die Hochschulgebührengesetze und Entgelteordnungen werfen. Langzeitstudiengebühren, Zweitstudiengebühren, Gasthörer*innengebühren, Gebühren für Senor*innen oder auch für bestimmte Lehrveranstaltungen. Die Liste der Instrumente, über die die Hochschulen Verwaltungseinnahmen generieren können, ist lang. In Thüringen bspw. liegen die jährlich allein durch Langzeitstudiengebühren eingenommen Mittel bei einer Höhe von 2,2 Millionen Euro, die eigentlich zur Verbesserung der Studienbedingungen eingesetzt werden sollen, um die Zahlen der Lanzeitstudierenden durch eine bessere Betreuung und Steigerung der Studienqualität zu senken. Allerdings geschieht dies nicht immer. Da verschwinden Mittel gerne einmal im Globalhaushalt der Hochschule und werden dann in die Marketingabteilung gesteckt. Ziel verfehlt. Und ein Grund mehr auch für die Abschaffung dieser Gebühren weiter zu streiten, zeigt sich doch auch, dass ihre Hebelwirkung mehr als gering ist. 

Nun wollen Katja M. Fels, ChristophM. Schmidt und Matthias G. Sinning mit ihrem Plädoyer erneut eine Debatte eröffnen, die eine andere Richtung einschlägt. Die Forderung nach nachgelagerten Studiengebühren oder auch der sogenannten Akademiker*innensteuer ist wohl bekannt, war sie doch in den vergangenen Jahren auch immer Teil derAuseinandersetzung um die private Bildungsfinanzierung. Das Grundproblem an der hier vorgeschlagenenen Finanzierungsquelle für die chronisch unterfinanzierten Hochschulen, der zunehmende Rückzug des Staates aus der Bildungsfinanzierung, wird nicht thematisiert. Nur kurz wird auf die Schuldenbremse verwiesen. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass es die öffentlichen Haushalte nicht geschaffthaben, die rasch steigende Anzahl von Studierenden auch fianziell zu untersetzen und stattdessen Drittmittel und Verwaltungseinnahmen zunehmend eine Rolle in der Hochschulfinanzierung spielen. Stattdessen ist der Vorschlag derAutor*innen diese Privatisierung fortzuschreiben. Die Schuldenbremse wird nicht hinterfragt, obwohl deutlich gemacht wird, dass sie eine erhebliche Verursacherin der kritisierten Zustände ist. 

Zusätzlich wird ein grundlegender Denkfehler begangen, wenn allein die frühkindliche Bildung als gesellschaftliche Aufgabe betrachtet wird, an der die Gesellschaft sich beteiligen soll, damit alle möglichst gleiche Startbedingungen haben - auchwenn an der Wichtigkeit dieses Bildungsbereiches kein Zweifel besteht. Die frühkindliche Bildung allerdings gegen andere Bildungsbereiche auszupielen ist nicht zielführend. Bildung ist eine öffentliche Aufgabe, muss als solche betrachtet werden und solche bleiben. Der Besuch einer Hochschule oder der Gang in die duale Ausbildung sind eben nicht Privatsache, wenn Staat und Wirtschaft im selben Atemzug regelmäßig vom Fachkräftemangel sprechen. Bildung sollte, unabhänig vom Bereich, immer als Investition verstanden werden, nicht als Last. Selbst den Anhänger*innen des neoliberalen System sollte klar sein, dass eine hohe Qualität des Bildungssystems hochqualifiezierte Fachkräfte mit sich bringtund so eine erhebliche Verbesserung der Wertschöpfung - zumindest wenn mensch Bildung unter diesesm Blickwinkel der kapitalistischen Verwertung von Humankaptial denken möchte. 

Vor dem Hintergrund der Forderung nach Studiengebühren, ziehen die Autor*innen allerdings eine erstaunlich richtige Analyse, wenn sie darauf hinweisen, dass der Bildungsweg und -erfolgstark von den finanziellen Möglichkeiten und dem Bildungshintergrund der Eltern abhängig sind. Umso widersprüchlicher ist dann die gleichzeitige Forderung nachder Einführung von "sozialverträglichen" nachgelagerten Studiengebühren. Ja, alle Steuerzahler*innen kommen für die Bildungs- undForschungseinrichtung Hochschule auf. Das befreit Studierende aber nicht von anderen Kosten, die sie in ihr Studium investieren, die als "nicht zuvernachlässigende Opportunitätskosten" bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um viel mehr, als nur Kosten. Es handelt sich hier um Hindernisse beim Zugang zum Studium. Miete, Semestergebühren, Lebensunterhalt, Lernmaterialien, etc. wirken selektiv und abschreckend und halten nicht selten Menschen vom Studium ab, bevor sie überhaupt tatsächlich ein Studium in Betracht gezogen haben. Studierende verdienen zudem durch das Studium selbst nichts. Ihnen entgeht während ihrer Ausbildungszeit ein reguläres Gehalt, sofern sie nicht nebenbei arbeiten müssen, was letztlich auch "nur" zum Lebensunterhalt dient, weil sie möglicherweise keinen Zugang zur staatlichen Ausbildunförderung haben. Vor diesem Hintergrund wirkt die Aussicht das Studium durch ein Modell nachgelagerter Studiengebühren mit einem potentiellen Schuldenberg zu beginnen, zusätzlich selektiv. Denn der hier vorgeschlagene "Kredit" finanziert zunächst nur die Studiengebühren, nicht aber den alltäglichen Lebensunterhalt. Ausschluss, Chancenungerechtigkeit und Selektionwürden verstärkt statt abgebaut. Auch die Aussage, der Staat würde erheblich in den Entscheidungsprozess für oder gegen ein Studium eingreifen, wenn er keine Studiengebühren erhebe, ist damit hinfällig. Er könnte förderlich in den Entscheidungsprozess eingreifen, wenn er die Hürden und Opportunitätskosten im tertiären Bildungsbereich sowohl bei den Hochschulen als auch bei der dualen Ausbildung abbauen würde. Zudem ist das steuerfinanzierte System Hochschule durch weitere Hürden geprägt, wie beipsielsweise Zulassungsbeschränkungen durch den N.C. oder Beschränkungen für Menschen ohne Abitur. Dass also, auch bei einem wie im Beitrag vorgeschlagenen Modell, noch immer nicht alle die Chance haben an einer Hochschulen immatrikuliert zu werden, scheint in den Überlegungen keine Rolle gespielt zu haben. 

Nun noch ein paar Worte zum vorgeschlagenen Modell, dass in Anlehnhung an das System in Australien angeführt wird. Die Autor*innen sind der Meinung, dass australische HECS-System ließe sich in Form eines "BAföG Plus" quasi eins zu eins auf bestehende Finanzierungsstrukturen im Bund umzusetzen. Es wird dabei suggeriert, dass dieses System eine elternunabhängige Ausbildungsförderung nach dem aktuellen Modell sei, womit die Studierenden eine montaliche Leistung zum Lebensunterhalt bekommen. Dem ist aber nicht so. Denn die Autor*innen beschreiben es wie folgt: "Darlehen im Rahmen von Bafög-Plus, also auch jene, die aktuellen unter dem normalen Bafög-System vergeben werden, würden künftig unter veränderten Bedingungen als vom Finanzamt verwaltete Kredite laufen, deren Rückzahlung nach Ende des Studiums vom individuellen Einkommen abhängt." Damit kann hier von einem Bildungskredit zur Finanzierung des Studiums nicht die Rede sein. Es handelt sich um einen weiteren Kostenfaktor, der wenn auch nachgelagert, zu denKosten des Lebensunterhaltes hinzukommt. Eine Ausbildungsförderung muss also weiterhin zusätzlich staatlich finanziert werden. 

Bisher scheiterte die Debatte über die Einführung an der Akademiker*innensteuer, als Form der nachgelagerten Studiengebühren, auch an der Tatsache, dass Steuern nicht zweckgebunden eingenommen werden können. Nun handelt es bei dem hier vorgeschlagenen Modell zwar um "Kredite", aber immer noch um Einnahmen die über dieEinkommenssteuer erzeugt werden. Damit bleibt das Problem faktisch bestehen. Das Geld landet im allgemeinen Steuertopf. Damit kann auch den Hochschulen nicht garaniert werden, dass diese Gelder als zusätzliche Invesitionen nebenden staatlichen Mitteln durch den Haushaltsgesetzgeber zur Vefügung stehen oder nicht doch in die Schuldentilgung oder andere Bereiche fließen.

Es wird auch nicht aufgeschlüsselt, welche fiskalpolitischen Folgen dieses System in Gänze hätte, da dieSchuldenbremse als Invesitionshemmnis nicht in Frage gestellt wird. Zudem ist ein Modell wie in Australien prinzipiell dazu geeignet - in einer Gesellschaft, in der Privatschulden als Stigma gesehen werden - Menschen unter Druck zusetzen ein Studium ausschließlich zur beruflichen Qualifizierung aufzunehmen. Der eigentliche Anspruch von Wissenschaft und Forschung und die Aufgabe von Hochschulen als "Motor gesellschaftlicher Innovationen" würde ad absurdum geführt werden, was er ja jetzt durch die zunehmende Privatisierung dieser Bildungsbereiche wird. Auch die beim australischen Modell gepriesene Zinsfreiheit ist bei näherer Hinsicht nicht gegeben. Denn "wer in Australien seine Studiengebührendirekt bei Fälligkeit begleicht, erhält einen Abschlag in Höhe von 20 Prozent." Damit wird auch die Schuldenlast langfristig dem Mittelstand auferlegt, der zudem steuerlich bereits erheblichbelastet ist, wenn man sich den Mittelstandsbauch des deutschen Steuersystem in Erinnerung ruft. 

Der Verlgeich des OECD-Durchschnitts bezüglich der privaten Kostenbeteiligung im tertiären Bildungsbereich ist vor dem Hintergrund der Bildungsproteste in Großbritannien und Spanien, etc,. auch nicht zielführend. Entzünden sich diese Proteste doch immer wieder eben an der Frage nach der Höhe dieser privaten Bildungsgebühren und zunehmender Privatisierungstendenzen in diesem Bereich. Ebenfalls für Verwunderung sorgt die Tatsache, das vollkommen ausgeblendet wird, das bereits jetzt Akademiker*innen, die potentiell besser verdienen, über die Einkommens- und Mehrwertsteuer einen höhern finanziellen Beitrag leisten. Ob die Höhe dieses Beitrags zum Staatshaushalt angemessen ist, müsste allerdings tatsächlich neu diskutiert werden.

Bei dem Versuch das vorgeschlageneSystem verstehen zu wollen bleiben letztendlich viele zentrale Punkte unklar. Denn es ist nicht ersichtlich, wie hoch nun die Gebühren bzw. die nachgelagerten Studiengebühren sein sollen, zumal wenn die Höhe dieser im Nachgang mit der Einkommenshöhe verrechnet werden. Den Hochschulen und dem Haushaltsgesetzgeber wird die Planungssicherheit genommen, wenn nicht klar ist, wie hoch der Mittelanteil ist, der mit Beginn der Rückzahlung zur Verfügungsteht. Das finanzielle Potential ist zudem extrem konjunkturabhängig. Eine nachhaltige Verschlechterung der Arbeitsmarktsiuation und mögliche negative Lohentwicklungen bilden einen erheblichen Risikofaktor. Hier wäre es sinnvollerden Hochschulen eine nachhaltige Globalfinanzierung durch Bundes- und Landesmittel zuzusichern. Die Steuerungspotentiale sind hier durch die direkte Ausgestaltung durch Gesetzgeber und Exekutive größer, ebenfalls bei der Fragen ach der Verbesserung auf der staatlichen Einnahmeseite. Hochschulen werden andernfalls in einem noch erheblicheren Maße den Mechanismen des freien Marktes unterworfen, was erst zu den derzeit oft beklagten Problemen und dem schrittweisen staatlichen Rückzug aus der Finanzierung des tertiären Bildungsbereiches gefürht hat. Wir brauchen statt einer Debatte über private Finanzierungsmodelle eine politische um Verteilungsgerechtigkeit und folglich auch eine Debatte zur Umverteilung von oben nach unten, die tatsächlich die sozial und finanziell Benachteiligten im Blick hat.