Über einen LINKEN Antagonismus

Debatten über #r2g sind keine Lösung und keine Option. Zu dieser Schlussfolgerung kommt Janis Ehling in seinem kürzlich veröffentlichen Debattenbeitrag im Neuen Deutschland[1]. Während ich die Problemanalyse des Beitrages teile, zeigt diese Schlussfolgerung auf, dass wir in der LINKEN ein Problem haben: einen LINKEN Antagonismus zwischen dem Ziel gesellschaftlicher Transformation und der Debatte über Regierungsverantwortung. Dabei wäre es notwendig letzteres auch endlich im Kontext des ersten zu diskutieren.

Vorab will ich anmerken, dass ich mir selbst keine Illusion darüber mache, dass in der aktuellen Situation, in der sich SPD, Grüne und LINKEN gleichermaßen befinden, ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis eine reale Option auf Bundesebene wäre. Im Gegensatz zu Thüringen und Brandenburg lässt sich auf Bundesebene in keiner Weise feststellen, dass sich zentrale politische Akteur*innender drei Parteien auf Augenhöhe begegnen würden, obwohl auf Ebene der Parteibasis bundesweit in einzelnen Kommunen sicherlich Bündnisse existieren und gemeinsame Projekte angegangen werden. Und auch die Regierungsbündnisse in Thüringen und Brandenburg zeigen, das eine politische Zusammenarbeit längst keine Zukunftsmusik mehr ist. Allerdings wurden di Gesprächsleitfäden in Thüringen bereits lange vorher aufgenommen, auf kommunaler wie auch auf Landesebene. Die drei Parteienwaren und sind sich der unterschiedlichen politischen Kulturen und auch differenzierten Positionen in Detailfragen wie auch politischen Grundsätzen des jeweiligen Gegenübers bewusst und haben dennoch neben dem politischen Alltagsgeschäft Gemeinsamkeiten ausgelotet und so schrittweise den Weg zueinander gefunden. Das lässt sich aus meiner Sicht auf Bundesebene nicht von heute auf morgen realisieren. Und das anstehende Zeitfenster eine solche Zusammenarbeit realitisch auf die Beine zu stellen, ist denkbar knapp. Da sind auch die derzeitigen Gräben in der politischen Auseinandersetzung nicht nur „Nebelkerzen“ sind nicht zu verleugnende Barrieren, die überwunden werden müssten. Insofern geht es mir nicht darum der analytischen Ausgangslage des Textes von Ehling grundlegend zu widersprechen. Diese kann ich größtenteils nachvollziehen in diesem Punkt wie auch in der weiteren Ausführung zum gemeinsamen Bündnis gegen Rechts. Denn während die inhaltlichen Gräben gezogen sind, ist man sich bewusst, dass ohne die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Sozialverbänden, SPD, Grünen, LINKEN und außerparlamentarischen linkensemanzipatorischen Strukturen ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen Rechts und die AfD im Besonderen gar nicht möglich ist. Auch wenn klar ist, dass dies nicht selten nur ein Zweckbündnis ist und nur an der Oberfläche rassistischer Denkmuster und Handlungsstrukturen in Deutschland kratz, wie es Janis Ehling passend bildlich beschreibt.

Was ich allerdings nicht teile, ist die Schlussfolgerung, die in dem Beitrag daraus gezogen wird. Zu sagen die Debatte über #2g sein keine Lösung und daher keine Option, blendet die politische Realität in zwei Bundesländern, in denen die LINKE in unterschiedlichen Konstellationen mitregiert und die Tatsache, dass dieses Jahr zwei Wahlkämpfe anstehen, in denen ähnliche Regierungsbündnisse zumindest im Ansatz zu realisieren wären, aus. Nun bin ich selbst  nicht per se ein bedingungsloser Verteidiger linker Regierungsbeteiligung und hinterfrage kritisch, wann diese unter welchen Umständen sinnvoll sein kann. Grundannahme dieser kritischen Reflexion muss es aber sein, sich immer wieder klar zu werden, dass weder Opposition noch Regierungsbeteiligung ein Selbstzweck sind. Beide Wege sollten Instrumente dafür sein, kulturelle und sozial-ökologische Transformationsprozesse anzustoßen, indem sie öffentlich diskutiert oder mit eigenen Projekten erfahrbar gemacht werden. Und in beiden Modellen kommt dies bisher zu kurz. Und genau hier sehe ich die Leerstelle in der Analyse von Ehling. Es wird der klassische Antagonismus in LINKEN Debatten über „den richtigen Weg“ aufgemacht zwischen Transformation vs. Regierung. Dass letztere nicht ohne den Anspruch der gesellschaftlichen Transformation bestehen kann, lässt die vorgelegte Analyse ebenso außer Acht wie bisherige Teile der LINKEN in Regierungsbeteiligung.

Wozu das führen kann, hat Thomas Falkner treffend analysiert und deutlich gemacht welchen Fehler DIE LINKE in Brandenburg in der ersten Legislatur als Teil des Rot-Roten Regierungsbündnisses begangen hat: „Das handwerklich und fachlich gute Regieren verband sich für Partei und Öffentlichkeit zu oft nicht mit einer langfristigen strategischen Perspektive, die sich zum Erwartungshorizont an die Partei widerspiegelt. […] bis zum Ende der Legislatur fand DIE LINKE aus dem „Krisenbewältigungsmodus“ mit kurzfristiger Perspektive nicht heraus, die langen Linien ihrer Arbeit wurden – vor allem auch der eigenen Partei – zu wenig bewusst gemacht.“[2]  Leider gehört es zu der politischen Praxis in Wahlperioden zu denken, dies schränkt jedoch den Blick für langfristige Transformationsprozesse ein. Das deckt sich mit der Kritik von Ehling. Zugegebener Maßen muss dieser Blick auch in Thüringen noch mehr geweitet werden. Diskussionen darüber, welchen Anspruch wir an eine zweite Legislaturperiode in dieser Konstellation haben, werden kaum bzw. nicht geführt.  Was allerdings nicht verwundert, wenn wir uns selbstkritisch vor Augen führen, dass auch eine Diskussion darüber, welche transformatorischen Ansprüche wir an die aktuelle Legislaturperiode haben, nicht geführt wird. Dies wäre jedoch die Grundlage für den zuvor genannten Diskussionsprozess. Das passiert weder öffentlich noch innerhalb der Partei oder mit Bündnispartner*innen in der Zivilgesellschaft. Viel eher scheint der aus Brandenburg bekannte „Krisenbewältigungsmodus“ Einzug gehalten zu haben.

Ja, viele wichtige Projekte, wie die Einführung eines Bildungsfreistellungsgesetzes, die Beschränkung der V-Leute-Praxis, das Nein zum Asylpaket I oder das Programm zum sozialen Wohnungsbau waren und sind wichtige Meilensteine, die in etwas mehr als einem Jahr #r2g in Thüringen in Angriff genommen wurden. Aber wir sind schnell im Alltagsgeschäft versunken. Wir vergessen das Aufzeigen der „langen Linien“ unserer Vorhaben. Wir haben uns einmal gesagt, dass wir die politischen Sachzwänge, die uns auferlegt sind, stärker politisieren müssen. Auch das machen wir nur begrenzt und ziehen uns eher hinter diese als Rechtfertigung zurück, statt selbstbewusst damit umzugehen und die Probleme zu adressieren. Dabei ist es notwendiger denn je, denn auch hier hat Ehling recht „die Menschen schreiben die schlechtere Versorgung im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich eher der Regierung zu als den strukturellen Zwängen.“

Dabei ergäben sich, nehme ich einmal Thüringen wieder als Beispiel, viele aktuelle Handlungsfelder, die Anlass dafür wären, genau solche Debatten zu führen. Debatten, in denen wir die aktuellen Projekte von #r2g zusammen mit Vorschlägen diskutieren könnten, die dazu beitragen die politische Kultur und die alltägliche Lebenswelt Stück für Stück zu transformieren. An dieser Stelle müssen wir selbstkritisch hinterfragen, warum wir als LINKE in diesem Bündnis bspw. nicht stärker das Thema Umverteilung diskutieren und versuchen gemeinsam mit den Koalitionspartner*innen im Bundesrat entsprechende Initiativen zu starten, um bundesweit als kleines Land Zeichen zu setzen. Oder warum verknüpfen wir nicht die aktuelle Diskussion über die Gebiets-, Funktional- und Verwaltungsreform viel stärker mit der Frage nach Demokratisierung von Verwaltung und konsequenter mit Digitalisierung von Verwaltung, statt allein mit der Frage nach Kosteneinsparung und einem nicht konkret definierten „Effizienzgewinn“. Es wäre genau der richtige Zeitpunkt neben der Suche nach der „leistungsfähigen“ Kommune auch zu diskutieren wie im Rahmen einer Funktional- und Verwaltungsreform auch zivilgesellschaftliches Engagement und Mitbestimmung auf kommunaler Ebene gestärkt werden können und damit die politische Selbstermächtigung der Bürger*innen. Dazu müssen die Gesetzentwürfe zum Vorschaltgesetz, die Überlegen zum Transparenzgesetzt und Vorstellung zur Erleichterung von Bürger*innenmitbestimmung konsequenter miteinander gedacht statt nebeneinander betrachtet werden. Es wäre auch der richtige Moment die Ideen, Konzepte und Best-Practice-Beispiele von E-Gouvernement im Rahmen der Reformbemühungen zu diskutieren, wie es mit der Tagung zur Kommune 4.0 der Landtagsfraktion gewagt wurde. Wenn Wege zur Verwaltung im Kreis länger werden, ist es umso mehr an der Zeit zu hinterfragen wie Verwaltung zum einem transparent und zum anderen auch einfacher zugänglich gemacht werden kann.

In der kommenden Debatte über die Novellierung des Thüringer Hochschulgesetzes haben wir bspw. den Anspruch genau das probieren. Wir wollen versuchen deutlich zu machen, dass es hier nicht nur um ein Mehr an Beteiligung geht. Wir wollen die Rahmenbedingungen schaffen für einen kulturellen Wandel von Entscheidungsprozessen. Inwieweit diese Rahmenbedingungen dann tatsächlich zum Wandel beitragen, steht gewiss auf einem anderen Blatt. Aber es ist wichtig solche und auch andere Vorhaben eben unter diesem Aspekt zu diskutieren und vor dem Hintergrund zu sehen was sich ändern soll außer dem Gesetzestext. Weitere Novellierungen wie die des Thüringer Schulgesetzes oder dem Personalvertretungsgesetz bieten dieselbe Möglichkeit unter diesem Blickwinkel Gesetzgebungsprozesse zu betrachten.

Der Anspruch LINKER Regierungsbeteiligung mit einer mittel- wie langfristigen Perspektive sollte es daher sein, Laboratorien der Zukunft zu entwickeln und zu schaffen, wie es Katja Kipping und Bernd Riexinger im Manifest Sozialismus 2.0 beschrieben haben. Das bedeutet auch als Partei nach Innen neue Beteiligungsformen und Plattformen zu schaffen, in denen eine breite Beteiligung  und Mitbestimmungskultur erwünscht und möglich sind und das bedeutet nach Außen Strategien zu entwickeln, Menschen dazu anzuregen eigene Ideen in politische Prozesse einzubringen, Räume zum Austausch zu schaffen und die Fähigkeit zur Selbstorganisation zu entwickeln. Es bedeutet als Partei nicht nur Anlaufpunkt zu sein, sondern auch politische Prozesse nach Außen erfahrbar und transparent zu machen und Alternativen zum politischen Alltag und Verwaltungshandeln zu denken, auch als Teil einer Mitte-Links-Regierung. Dazu gehört auch, wie Ehling richtig analysiert, zur Partei wieder offen als Organisation zu stehen, die sich auf gesellschaftliche Konflikte orientiert und die aktiv auf Mitgliedergewinnung und -einbindung setzt, um vor allem auch junge Mitglieder anzusprechen und die Partei zum Ort der politischen Selbstermächtigung mit mehr basisdemokratischen Elementen werden zu lassen. Völlig richtig konstatiert er: „Menschen werden aktiv, wenn sie sich aufgehoben fühlen in einer Organisation und da tatsächlich etwas bewegen können.“ Daraus kann und muss sich dann auch eine Debatte über die Umsetzung der politischen Ideen zur kulturellen und sozial-ökologischen Transformation ergeben, die eben beides betrachtet: Die langfristige Zielsetzung und die Mittel, die das bürgerlich-kapitalistische System mit ihren bestehenden demokratischen Instrumenten wie darin eingebetteten Parlamenten bietet, um eine von vielen Grundlagen zu schaffen für linke-emanzipatorische Gesellschaftsprozesse.

Was wir dringend machen müssen ist endlich darüber zu diskutieren, wann und wie eine Mitte-links-Regierung „produktiv“ sein kann. Denn auch hier hat Ehling mit seiner Analyse recht, dass eine solche Regierung die Menschen – und zwar alle – mit klaren Verbesserungen ihrer Lebensverhältnisse überzeugen muss. Raul Zelik hat dazu in einem Arbeitspapier zu #r2g in Thüringen eine wichtige Antwort geliefert, wie eine solche positive Konnotation linken Regierungshandelns besetzt sein sollte und was der Mehrwert sein kann: „Eine (Mitte-) Links-Regierung erfüllt eine positive gesellschaftliche Funktion, wenn sie die Bedingungen dafür verbessert, dass sich solidarische, basisdemokratische, feministische und antirassistische Erfahrungen und Praxis in der Gesellschaft ausbreiten können.“[3] Statt also die Debatte über den Aufbau langfristiger linker-emanzipatorischer Strukturen getrennt von linker Regierungsbeteiligung zu diskutieren, sollten wir in Thüringen und Brandenburg, wo Mitte-Links-Regierungen bereits Alltag sind, den Anfang machen und durch die parlamentarische Arbeit den Aufbau solcher emanzipatorischer Strukturen unterstützen, um so auch gesellschaftliche Mehrheiten für den Transformationsprozess zu gewinnen. Dann wird uns vielleicht auch wieder klarer, welchen transformatorischen Anspruch wir mit #r2g einmal verbunden haben oder einige auch noch immer verbinden, bevor er im politische Alltagsgeschäft in den Hintergrund rückte. Debatten über #r2g sind nicht allein die Lösung, aber eine Option Teil der Lösung zu sein.


[2]Falkner, Thomas (2015). Rot-Rot aktuell: Seit 2009 regieren SPD und LINKE in Brandenburg, S. 158-166, in: Hennig-Wellsow, Suasanne (Hg.). Mit LINKS regeiren? Wie Rot-Rot-Grün in Thüringen geht, Hamburg:VSA